Hannelore Ernst geb. Döring, ein Leben im Stahlnhainer Grund
Beim Lesen des vom Heimat- und Geschichtsvereins neu herausgegebenen Buches „Die Geschichte der Neu-Anspacher Schulen“ hat sich der Verfasser dieses Berichts noch einmal sehr intensiv mit dem Leben der am 27. Mai 2022 verstorbenen Schulkameradin Hannelore Ernst geb. Döring unwillkürlich beschäftigt.
1939 wurde Hannelore als Tochter des Mühlenbauers Albert Döring und seiner Frau Johannette auf der „Döringsmühle“ (auch „Mittlere Mühle“ genannt) im Stahlnhainer Grund geboren. Albert Döring war Mühlenerbauer und bewirtschaftete mit seiner Ehefrau ab 1931 bis 1939 als letzter Müller die Döringsmühle. Es war kein „Zuckerschlecken“, das tägliche Brot für die vierköpfige Familie zu verdienen. Die ersten Aufzeichnungen der Mühle gehen auf das Jahr 1782 zurück. Anfänglich soll es auch eine Ölmühle gewesen sein.
Albert Döring war der einzige Müller, der mit einem Pferd unentgeltlich das Getreide zum Mahlen bei den Kunden abholte und das Mehl auf gleiche Weise wieder anlieferte. Wegen des fehlenden Wassers wurde sogar für die Stromerzeugung zwischenzeitlich ein Diesel-Aggregat für den Mühlenantrieb installiert, aber mit geringem Erfolg. Das Mahlen wurde 1939 aufgegeben. Danach ernährte sich die Familie Döring durch die Landwirtschaft. Ab 1946 wurden auch die ersten Feriengäste bewirtet.
Obwohl Hannelore, wie sie selbst berichtete, eine glückliche Kindheit erlebte, musste sie schon in jungen Jahren bei Arbeiten mit anpacken, wo es eben für Kinder zumutbar war.
Für heutige Verhältnisse ist es kaum vorstellbar, wie Hannelore und auch die Nachbarskinder im Winter ihren Schulweg, bewältigten. Hohe Schneeverwehungen machten die Zufahrten zu den Mühlen oft tagelang unpassierbar. Selbst der von Pferden gezogene Gemeindepflug kam nicht mehr durch. Das Dorf war nur zu Fuß erreichbar und zwar auf dem „Eselspfad“, einem getrampelten Fußweg quer durch die Wiesen, etwa vom heutigen Erlenhof bis zum oberen „Keuhberg“ (Feldbergstraße). Manchmal kam Hannelore erst Stunden nach Schulbeginn in die Klasse. Trotz hoher Gamaschen und langem Wintermantel war sie oft durchnässt.
Bei ihrer Schulfreundin Emmi Weddigen war sie dann immer nachmittags als Gast wie zuhause. War auch abends der Heimweg unpassierbar, übernachtete sie bei Ihrem Onkel Ferdinand Haag in der Feldbergstraße auf dem „Keuhberg“. Das war mit den Eltern auf der Döringsmühle abgesprochen.
Hannelore war schon als Jugendliche sehr selbständig, selbstbewusst und intelligent.
Mit zwanzig Jahren heiratete sie ihren Ehemannn Walter Ernst, einen Landwirtssohn aus Anspach. Er stammte aus dem Bauernhof der Familie Emil Ernst. 1957/1958 begann man, auch diesen Landwirtschaftsbetrieb aus dem Dorfinneren im Rahmen der Aussiedlungswelle auszusiedeln. So wurde auch der Betrieb des Hofes Ernst, der Standort war Neue Pforte 1/ Ecke Johanniswiesenweg, in den Stahlnhainer Grund verlagert. Drei Jahre, bis ca. 1959, dauerte der erste Bauabschnitt. Die ersten Bewohner auf dem „Erlenhof“ waren Walter Ernst mit seiner inzwischen verheirateten Frau Hannelore, die Eltern von Walter Ernst und dessen Geschwister Rosel und Herbert. Der ältere Bruder Eugen (Prof. Dr. Eugen Ernst) verblieb mit seiner Frau Erika bis zum Verkauf des Anwesens in der Neuen Pforte 1 wohnen.
1964, gerade 6 Jahre verheiratet, inzwischen glückliche Eltern, den Kopf voller Zukunftspläne, ereignete sich, wie es Pfarrerin Winkler bei Hannelores Beerdigung bezeichnete, eine Tragödie. Völlig unerwartet verstarb an einem Nierenversagen der Ehemann und noch junge Vater Walter im Alter von 28 Jahren.
Alle Ausbaupläne des Erlenhofes waren über den Haufen geworfen. Es ging ums pure Überleben auf dem neuen, mit noch laufenden Krediten belasteten Hof. Gott sei Dank hatte Hannelore, als gelernte Hauswirtschaftlerin, zwischenzeitlich ihre Meisterprüfung abgelegt und konnte nebenbei noch anderen jungen Frauen zur Meisterprüfung verhelfen und somit auch finanziell ein Zubrot beisteuern. Der Fremdenverkehr, hier hatte sie ja schon Erfahrung von der „Döringsmühle“ mitgebracht, wurde ein weiteres Standbein. Besonders attraktiv für die Gäste war das spätere Errichten eines hölzernen, voll eingerichteten Ferienhauses, das Hannelore im Rentenalter als Alterssitz gute Dienste erwies.
Neben all den täglichen Herausforderungen kam noch erschwerend hinzu, dass sich durch den Verfall der Preise die Produkte aus der Viehhaltung und Milchwirtschaft, die Haupteinnahmequelle ziemlich schnell verschlechterte, die es galt zu kompensieren. Der zweitälteste Sohn Dietmar, der den Erlenhof als noch junger Landwirt übernahm, sah sich gezwungen, einen neuen, zukunftsträchtigen Erwerbszweig zu generieren. Alle Familienmitglieder, insbesondere sein Onkel Eugen, standen mit Rat und Tat zur Seite. 1983 wurde der ganze Betrieb erfolgreich auf Angus-Rinderzucht mit Selbstvermarktung umgestellt. Auch eine kleine Pferdepension wurde aufgebaut. Während all den gravierenden, existenzgefährdeten Umbrüchen, waren es vor allem alle Familienmitglieder und auch die landwirtschaftlich bewanderten Nachbarn aus den anderen Höfen im Stahlnhainer Grund, die beispielhaft immer wieder da waren, wenn Hilfe erforderlich war. Diese Hilfsbereitschaft war außergewöhnlich und vorbildlich.
Hoch anzurechnen ist Hannelore, dass sie bei allem Stress auch auf die Ausbildung ihrer Kinder großen Wert legte, damit sie ihr Leben, wie es die Eltern bewiesen haben, meistern konnten.
Es ist fast nicht zu glauben, auch gemeinnützig hat sich Hannelore noch zusätzlich in unserer Gemeinde engagiert. Ca. zwanzig Jahre war sie Vorsitzende der Anspacher Landfrauen und lange Jahre im evangelischen Singkreis aktiv. Für die Belange ihrer Jahrgangskameraden hatte sie stets ein offenes Ohr. Hannelore war eine willensstarke und sozial eingestellte Frau. In großer Heimatverbundenheit nahm sie zufrieden von den engsten Familienangehörigen für immer Abschied, auch von ihrem geliebten Stahlnhainer Grund, wo sie trotz allem ein arbeitsreiches, aber zufriedenes Leben lebte – hellwach der Gegenwart zugewandt und trotzdem bewusst und getröstet dem Tod entgegensehend. .
Heinz Henrici