Zwölf Zeitzeugen aus allen Stadtteilen Neu-Anspachs berichteten am 12.9.14 vor mehr als 150 Besuchern von ihren persönlichen Erlebnissen, insbesondere aus der Karwoche 1945. Es war die Zeitspanne, als sich die letzten deutschen Soldaten, bestehend aus SS, Volkssturm und den sog. Fahnenjunkern im Taunus den ostwärts marschierenden Amerikanern entgegenstellten. Die Amerikaner, mit Panzern und Luftwaffe bestens ausgerüstet, kämpften gegen deutsche, waffentechnisch unterlegene Soldaten, die teilweise noch beseelt vom Endsieg waren. Die Zeitzeugen waren damals zwischen sechs und fünfzehn Jahre alt. Daniela Born-Schulze und Heinz Henrici moderierten diese wohl einmalige Talkshow auf der Bühne des BGH. Dass diese Veranstaltung zu dieser Zeit und in dieser Form durchgeführt wurde, liegt allein in dem Altersprozess derer, die heute noch imstande sind, sich an diese dramatischen, unvergesslichen Szenen zu erinnern und auch den vielen Zuhörern im Saal authentisch mitzuteilen.
Vorab wurde mit ein paar Lichtbildern wurde versucht, die Situation und Taktik der Amerikaner zu erläutern. Werner Lather stimmte am Flügel mit den Musikstücken „Lili Marleen“ und „In the mood“ die Zuhörer auf diese unsägliche Zeit ein. Er war auch der erste, der von seiner Begegnung mit den Amerikanern berichtete. Er spielte im Haus der Künstlerin Hedi Jäger das letztgenannte Stück auf dem Klavier bei offenem Fenster. Die Amerikaner hielten an und beschenkten ihn mit Schokolade und Kaugummi. Walter Ernst´s Erinnerungen waren da doch dramatischer, als er am Gründonnerstag unter dem Granatenfeuer der amerikanischen Panzer, die unterhalb der Wacht Stellung bezogen hatten und auf die im Dorf liegenden deutschen Soldaten schossen, nach Hause flüchtete. Hier war im 1. Stock eine Panzergranate eingeschlagen. Walter barg die tote Haushälterin der Mieter und schleppte sie in den Keller. Sein Mieter meldete tags darauf den Tod seiner Angestellten, in dem er mit der weißen Fahne auf der Schulter zur Bürgermeisterei ging.
Die Hausbesetzungen in Anspach durch die Amerikaner gingen schnell von statten. Am Kirchturm war eine weiße Fahne gehisst und auch an vielen Häusern, insbesondere in der Saalburg-, Breite und Bahnhofstraße. Hartmut Henrici, der Enkel des damaligen Bürgermeisters Rudolf Henrici, erlebte die Besetzung in der Saalburgstraße. Er konnte sich noch genau an das Schutzsuchen in den Kellerräumen und an die heranrasenden Ami-Jeeps und anschließende Wohnungsräumung erinnern. Aber auch an eine Begegnung mit einem farbigen Amerikaner, der seinen sich weigernden Vater aufforderte, mit auf die Jagd zu gehen, um ein Reh zu erlegen. Hartmut ging an Vaters Stelle mit zur „Hinnerwies“. Auf dem Heimweg musste er das Gewehr des Amerikaners tragen und beim Heimschleppen des toten Rehes helfen. Es wurde tags darauf von den Amerikanern, den Hausbewohnern und den Nachbarn gemeinsam verspeist.
Auch das fast tragische Ende seines Großvaters Rudolf Henrici, der 1933 in die NSDAP gedrängt wurde und 1945 von den „Geistern“ die er Jahre zuvor rief, fast umgebracht wurde, war Thema des Abends. Die letzten Deutschen lasteten ihm die weiße Beflaggung und das Beseitigen von lächerlichen Panzersperren auf der Weilstraße durch Anspacher Bürger an. Er sollte, nach seiner Verhaftung am Karfreitag. in der Ziegelei in Usingen erschossen werden. Ein deutscher Soldat ermöglichte ihm in der Nacht die Flucht. Mit einem Steckschuss rettete er sich nach Hause, wo er einige Tage im Keller versteckt und notdürftig versorgt wurde. Dass er ein Nazi-Bürgermeister war, ist nicht wegzudiskutieren, dass er aber einigen Menschen, zusammen mit anderen geläuterten Parteigenossen, das Leben rette, in dem er z.B. halbjüdische Mitbürger und Kommunisten, die auf der Deportationsliste für die KZ standen, versteckte oder mit lebensrettenden Hinweisen versorgte, war bis heute weitgehend unbekannt und gibt Anlass, die Vorurteile gegenüber Rudolf Henrici (und auch seiner Familie) verständnisvoller zu betrachten.
Heinz Born setzte die Zeitzeugenberichte fort. Er war 1943 mit seiner Familie vor der Komplettbombardierung Frankfurts nach Anspach in ein Holzhaus an der Talmühle evakuiert worden. Hier erlebte er die täglichen Tieffliegerangriffe der Amerikaner, die von Schmitten herüber nach Rod am Berg und Anspach zogen. Dem damals Zehnjährigen ist heute noch allgegenwärtig, dass sein Großvater erschossen werden sollte, falls sich auch nur ein Deutscher blicken ließe, die nachts aus dem nahegelegenen Wald kamen.
Überaus dramatisch waren auch die Verhältnisse in der Bahnhofswirtschaft (heute Kastanienhof). Helga Bangert, damals 12 Jahre alt, erzählte von den eindringenden deutschen Soldaten, der Vertreibung aus dem Haus und dem Beschuss vor dem Stabelsteinfelsen auf der Flucht in die Gärtnerei Lempp (heute Kahl). Deutsche Soldaten wollten im ersten Stock ein MG-Nest einrichten, wegen des freien Schussfeldes nach Rod am Berg, wo die Amerikaner lagen. Wie unterbewaffnet die deutschen Soldaten waren, kann man nur erahnen, als Helga Bangert berichtete, dass dem damals jungen Anspacher Heinrich Ernst („Schlenkerich“) das Fahrrad abgenommen wurde und ein deutscher Soldat dieses für die Besorgung einer Panzerfaust in Usingen benutzte. Bewegend war auch die Szene, als amerikanische Besatzer unsere unvergessene Emilie Reuter, die im 2. Stock des Gasthauses mit ihren zwei Kindern wohnte, als Geisel auf die Treppe stellten, in der Angst, dass sich noch Deutsche im Haus befinden könnten. Heute noch hört Helga den Satz: „Wenn Kamerad bum bum, dann Du kaputt.“
In Westerfeld war die Lage ähnlich. Reinhold Priester erzählte von der eigenen Verbarrikadierung im elterlichen Haus, von ständigen Gewehreinschüssen und von dem Granateneinschlag im Nachbarhaus. Teile dieser Granate, die er als Junge einsammelte, konnte er sogar noch an diesem Abend vorzeigen. Zusammen mit Walter Böhmer berichteten sie auch von den unvergesslichen Bildern, die sich den beiden in den sog. „Planzegärte“ (Weg zum heutigen Sportplatz) boten. Tote Mulis und Pferde, die für den MG-Transport benutzt wurden, lagen erschossen auf dem Feld. Trotz aller Verfeindungen gab es auch Zwischenmenschliches zu berichten, als Walter Böhmer von dem von den Deutschen gefangenen Franzosen namens Adolf erzählte, der zusammen auf dem elterlichen Hof mit einem einquartierten Soldaten des Merzhausener Flughafens wohnte.
In Rod am Berg ging es dramatischer zu als allgemein bekannt. Die Amerikaner standen an der Hirschhöhe. Hohe erlittene Verluste in den Kämpfen in Schmitten und Finsterntal machten sie besonders vorsichtig. Um sicher zu sein, dass keine deutschen Soldaten mehr im Dorf sind, beschossen sie den inneren Ortskern mit drei Granaten. Mit einer Geisel auf dem Bug eines Panzers, es war der kleinwüchsige „Bernes“, ein aus Frankfurt evakuierter Junge, der den Amerikanern mitteilte, dass die Deutschen abgehauen seien, zogen sie in Rod am Berg ein, wie sich der an diesem Abend leider verhinderte Zeitzeuge Rudi Höck noch gut erinnerte. Gott sei Dank hat Doris Ernst all die erzählten Kriegserlebnisse in und um die Anwesen Ernst und Nickel in einer Art Tagebuch festgehalten. Ihr Mann Rudolf ergänzte am Mikrofon die einzelnen Passagen, berichtete auch von dem deutschen Lazarett in der eigenen Bauernstube, von dem in der Kirche erschossenen deutschen Gefangenen durch die Amerikaner vor dem Abtransport und erwähnte auch, dass heute noch das Loch in der Kirchenbank, von dieser Hinrichtung stammend, zu sehen sei. Unter die Haut ging auch seine Aussage zu dem kurz bei ihm einquartierten „SS-Kettenhund“, einem Feldjäger, der nachts deutsche Deserteure aufspürte und erschoss. O-Ton Rudolf Ernst: „Wer dem in die Finger fiel, für den war der Krieg zu Ende und auch das Leben“
Was in Hausen und Arnsbach geschah, ist kaum zu glauben. Ernst Bach schilderte die Schutzsuche von über 20 Evakuierten in einem 15 qm großen landwirtschaftlich genutzten Keller. Unvergesslich war seine Aussage bezüglich des von den Amerikanern gestellten Ultimatums. Über 50 amerikanische Soldaten hatten schon in Arnsbach im Häuserkampf ihr Leben gelassen, als der damalige Bürgermeister Löw zu den Amis zitiert wurde: „Wenn heute (Karfreitag) ab 17 Uhr noch ein Schuss fällt, wird Hausen-Arnsbach dem Erdboden gleich gemacht“ Beladene US-Bomber standen schon bereit. Bgm. Löw ist es dann dank des englischsprachigen Pfarrers Rübsamen und einem KdF-Gast im Hause Bach gelungen, die Kampfhandlungen einzustellen. Es war ein Ritt auf der Rasierklinge und Hausen-Arnsbach wäre ausradiert worden.
Erwin Müller, dessen Elternhaus in den umkämpften Höfen am Dorfbrunnen steht, fiel es sichtlich schwer, sich an diese brutalen und unmenschlichen Szenen in dieser Ecke zu erinnern. Drei brennende Scheunen, mehre beschossene Wohnhäuser, rundherum Tote, amerikanische Soldaten, die in die MG-Salven der deutschen Heckenschützen liefen und Fahnenjunker, die von einem Ritterkreuzträger bewusst in den Tod gejagt wurden, einen SS-Mann, den er mit seinem Bruder aus dem Nachbarkeller, sich ergebend zu den Amis begleitete, das alles sind Eindrücke die er nicht vergessen kann. Erwin Müller gibt zu, dass er diese Bilder immer und immer wieder vor Augen hat.
Prof. Ernst beschloss mit seinen Erlebnissen auf dem Felde bei der landwirtschaftlichen Tätigkeit, von der ständigen Angst von den Tieffliegern beschossen zu werden. Er berichtete auch von den Erlebnissen der Zeitzeugin Frau Meschenmoser (geb. Föller). Sie hatte Eugen Ernst anvertraut, was sich bei Ihnen zuhause am Dorfbrunnen abspielte. An Brutalität kaum zu überbieten war der Todeskampf eines jungen verblutenden Soldaten in der bäuerlichen Wohnstube. Eugen Ernst las abschließend das Gedicht des Hauseners Helmut Löw, mit dem Titel „Sterbender Soldat“. Es stammt aus dem dieses Jahr vom Verein „750 Jahre Hausen“ herausgegebenen Gedichtband.
Werner Lather war es vorbehalten, mit allseits bekannten Schlagern aus der Nachkriegszeit von 1945 bis 1949 die Stimmung im Saal aufzuhellen. Ihm und vor allem den mutigen Zeitzeugen gilt unser besonderer Dank.