"Am achten Februar veranstaltete der Turnverein eine karnevalistische Feier, zu der hunderte Zuschauer aus allen umliegenden Orten kamen, und sie wurden in ihren Erwartungen nicht enttäuscht. Bei vielen war der Wunsch laut geworden, dass im nächsten Jahr wieder eine solche Veranstaltung stattfände." Diese Meldung aus dem Jahr 1891 hatte "Dippegucker" Professor Eugen Ernst in der Presse gefunden.
Die "Dippegucker" waren damals noch nicht aufgetreten, auch wenn sie heute in ihren Liedern mit dem Alter kokettierten, aber sie gehören schon seit vielen Jahren zur Anspacher Fassenacht und pflegen eine Mischung aus Bänkelgesang und Heimatliedern. Sie eröffneten auch den jüngsten närrischen Abend, veranstaltet vom Heimat- und Geschichtsverein, und der war anders als in den vergangenen Jahren. Denn was einstmals in der Kleeblattstadt blühte, wird gerade zu Grabe getragen.
Aber die Fassenacht in Neu-Anspach war schon häufiger tot gesagt und lebte doch immer wieder auf. Die Sportler waren, wie die Zeitungsmeldung bezeugt, auch dem Feiern seit jeher wohlgesonnen und: "Nach dem Krieg‘, da hatten die Leut‘ wieder Lust zu feiern", sagte Heinz Henrici, der am Samstagabend im Bürgerhaus durch die Geschichte des Feierns führte. Der Auftritt der "Dippegucker" war der einzige Liveauftritt, alles andere hatten Fotografen in Bildern oder auf Film festgehalten, und Gerhard Schmück hatte das Bildmaterial bearbeitet, digitalisiert und in einer Dokumentation zusammengestellt, die Heinz Henrici kommentierte.
Die Fußballer und die Sänger hatten nach dem Krieg die Lust am Leben wiederentdeckt und mit bescheidenen Mitteln die ersten Veranstaltungen auf die Beine gestellt. Kostüme wurden aus einfachsten Materialien improvisiert. "Auf dem Tisch Apfelweinschoppen, mehr gab es nicht", so Henrici.
Henrici, selbst Fußballer, erzählte schwärmerisch aus der guten alten Feierzeit und ließ die Aktionen der Sportler und der CVA-Sänger parallel auf der Leinwand Revue passieren. "Bei den Sängern ging es immer etwas stilvoller zu, bei uns gab‘s immer Schau", erläuterte er, und die Bilder schienen es zu belegen. Mit Elferrat im Sakko und Narrenkappe holten die Sänger die Mainzer Fassenacht nach Anspach, bei den Fußballern war es mehr der Klamauk, der für Stimmung sorgte. "Künstlerisch konnten wir an die Sänger nicht herankommen, die konnten alle singen wie die Hofsänger, und manche haben behautet, noch besser." Aber auch die Bilder der Schautanzgruppen zeugten von hoher Feierkunst.
Henrici nannte auch die Namen von denen, die nicht mehr unter den Lebenden sind, und wenn er auf einem Bild einen der Abgebildeten nicht erkannte, half ihm das Publikum. Zeitweise war es, als wären sie alle wieder dabei, im Saal, und schwelgten mit in der Erinnerung. Zu viele waren es, die sich um die Anspacher Fassenacht im Saal der "Linde", im "Beckerheinrichs-Saal", in den Gasthäusern und auf der Straße verdient gemacht hatten, um hier Einzelne wiederzugeben, doch in der Dokumentation hatten alle ihren Auftritt, und Henrici, Erhard Planz als Schellenmann und der HGV-Vorsitzende Manfred Schmück entließen nach fast vierstündigem Programm rund 350 Besucher aus der Anspacher Fassenacht, die es, "so wie es früher war", nicht mehr geben wird.